Anfang des Jahres wurde ich durch die Stiftung Heiligenberg Jugenheim mit der Gestaltung der Ausstellung „Sandro – Alexander Prinz von Battenberg – Ein europäisches Schicksal“ beauftragt, was mich sehr gefreut hat. Zu gestalten waren einerseits sämtliche Kommunikationsmaßnahmen, wie Webseite, Flyer und Plakate, als auch die Ausstellung selbst, bestehend aus fast 30 Ausstellungs-Displays und einem Katalog.
Das Bild-, bzw. Fotomaterial für die Ausstellung bestand hauptsächlich aus alten Fotografien, die zur Archivierung abfotografiert oder eingescannt wurden. Darunter wunderschöne Studio-Porträtaufnahmen im Cabinet-Format des Darmstädter Fotografen Carl Backofen, der seinerzeit zusammen mit seinem Vater, Franz Backofen, selbst Maler, Fotograf und Musiker, ein fotografisches Atelier in der Riedeselstraße 37 in Darmstadt von 1875 bis ca. 1887 besaß.
Carl Backofen war Fotograf am Darmstädter Hof
Von seinem Vater als Fotograf ausgebildet, war Carl Backofen der „Großherzoglich Hessische Hof-Photograph Ihrer Kaiserlich-Königlichen Hoheit der Frau Kronprinzessin des Deutschen Reichs und von Preußen“. Er war der Hoffotograf am Darmstädter Hof von Ludwig IV. von Hessen und bei Rhein und fotografierte scheinbar „alle“ zur damaligen Zeit wichtigen Persönlichkeit der europäischen Königshäuser. Zu seinen „Modellen“ zählten beispielsweise die Queen Victoria, die russischen Zaren Alexander II. und III., König Edward VII., Familienmitglieder der Familie von Battenberg, Prinzen und Prinzessinnen und wohlhabende Bürger, aber auch Schauspieler und Sänger vom Darmstädter Hoftheater.
Die Personen-Fotografien der damaligen Zeit wurden auf Kabinett-Karten (Cabinet Cards) in einem Format von 10 x 15 cm meistens im Hochformat aufgebracht. Auf den Rückseiten der Kabinett-Karten, die aus Pappe waren, war die wiedererkennbare Absender-Marke des Fotoateliers aufgedruckt. So ist festzustellen, dass Carl Backofen nicht nur ein Atelier in Darmstadt, sondern auch eins in Bensheim führte.
Viele seiner Werke sind gut erhalten und befinden sich in den internationalen Archiven. Allein die Royal Collection Trust in Großbritannien beherbergt über einhundert Porträtaufnahmen der königlichen Familie und ihrer Verwandtschaft.
Lupenblick in die Vergangenheit
Für mich war es eine sehr große Ehre, mit diesen historischen „Schätzen“ arbeiten zu dürfen. Öffnet man die digitalisierten Fotografien in Photoshop und nimmt sie regelrecht unter die Lupe, so ist es, als blicke man in eine längst vergangene Welt, die aber durch die starke Vergrößerung plötzlich sehr real wird. Wie ein Detektiv erforscht man in den Details des Porträts, der Haarpracht, der Kleidung – erhält Erkenntnisse über Schmuck und Textilien, oder einfach ob die Fingernägel lackiert waren. Interessant ist auch zu erkunden, welche Schäden die Fotografien im Laufe der Jahrzehnte genommen haben, wie Kratzer und Knicke, Staub- und Wasserflecken.
Sieht man ganz genau hin, lassen sich aber auch Manipulationen erkennen, die auf interessante Weise ganz anders gealtert sind, als die eigentliche Oberfläche der Fotografie. Taillen und Bäuche wurden schlanker gekratzt, Haare und Bärte wurden voller gepinselt und Hosenbeine wurden adrett verschlankt. Augen wurden strahlender gemacht und Lackstiefel noch blitzender retuschiert.
Bildretusche, so alt wie die Fotografie selbst
Mit den Anfängen der Fotografie, die sich aus der Porträtmalerei und Lithografie entwickelte, entstand auch gleichzeitig deren Manipulation und Retusche-Kunst. Eigentlich ein Wiederspruch in sich, denn die übertriebene Retusche verhindert ja eigentlich die getreue Widergabe, eben der Eigenschaft der Fotografie.
So entwickelten sich unterschiedliche Bildmanipulationen: Bei der mechanischen Veränderung wurde mit einem sehr weichen Bleistift auf die Schichtseite des Negativs feine schlingenförmige Schraffierungen aufgebracht, die das Bildpositiv später aufhellen sollten. Größere Flächen wurden anhand von Wattebäuschchen mit Graphitpulver wischend bearbeitet. Für das Herausarbeiten von Details, wurden mit einem sehr feinen Pinsel Lasurfarben mehrfach auf das noch feuchte Negativ aufgebracht. Bei der Schabretusche wurde durch das Abschaben der in der Gelatine eingebetteten Silberteilchen die Deckung eines Negativs verringert, so dass große Bildteile entfernt werden konnten. Ähnlich wie bei dieser Negativretusche, war natürlich auch eine Retusche am Bildpositiv möglich. Hier kamen ähnliche Werkzeuge, Pinsel und Retusche-Bestecke zum Einsatz. Jedoch war die Retusche auf der Papieroberfläche viel schwieriger zu „vertuschen“, denn hier musste man die Oberflächenbeschaffenheit des Fotopapiers beachten, ob matt oder glänzend.
Bei meiner Detail-Betrachtung der historischen Aufnahmen beschlich mich schon ein merkwürdiges Gefühl, den Retusche-Künstlern aus dem 19. Jahrhundert so, und zwar mit Adobe Photoshop, auf die Schliche gekommen zu sein. Denn damals wurde auch schon „gephotoshopt“!
Nicole Kruse